Mein Vater kam aus dem Erzgebirge. Als ich jung war, besuchten wir regelmäßig die Geschwister meines Vaters. Meine eindrücklichsten Natur-Erlebnisse verbinde ich mit diesen Verwandtenbesuchen. Dazu gehörten lange, ausgiebige Spaziergänge durch nahe und ferngelegene Waldgebiete bis hinunter ins Vogtland. Wenn alle erschöpft nach Hause kamen, wartete Tante Hannchen schon mit ihrem selbstgemachten, heissen Hagebutten-Tee. Die säuerlichen, heissen Schlucke waren immer belebend.
Tante Hannchen ging im Herbst eigens in die nahe Umgebung mit zwei geflochtenen Körben, um Hagebutten zu pflücken. Dabei wählte sie nur diejenigen mit der harten Schale aus. Zuhause angekommen breitete sie ausrangierte, saubere Tischtücher über dem sauber gekehrten Dachboden aus, schüttete die Körbe mit Hagebutten aus, und dass so oft, bis der Dachboden mit Früchten bedeckt war. Die Früchte verteilte sie so, dass keine übereinander lagen und leichter trocknen konnten.
Da ihr kleines Haus nicht so besonders isoliert war, kam genügend Wärme aus dem Wohnbereich durch die Dachbodendielen und trocknete die Hagebutten innerhalb einer Woche. Die durchgetrockneten, verschrumpelten Früchte kamen dann in große ausrangierte Milchkannen. Sie blieben offen und standen in der kühlen Vorratskammer.
Tante Hannchen trank meistens nur Hagebutten-Tee, und den aus einer ziemlich demolierten emaillierten Tasse. Sie nahm eine halbe Hand voll getrockneter Hagebutten, gab diese in die Tasse und brühte heisses Wasser drüber. Sie machte sich nicht die Mühe des Abgießens, sondern füllte immer wieder neues Wasser nach, wenn sie ausgetrunken hatte. Ein erneutes Überbrühen erfolgte so lange bis schließlich weder Geschmack noch Farbe aus den Hagebutten kam. Die Hagebutten kamen auf den Kompost — nichts durfte verschwendet werden — und sie holte sich neue aus der Vorratskammer. Vielleicht halfen ihr die vitaminhalten Früchte? Tante Hannchen erfreute sich bester Gesundheit und kannte keinen Schnupfen. Ehrlicherweise muss hinzugefügt werden, dass sie immer in Bewegung war und der Kohleofen meist nur in der Küche (in der Stube nur, wenn Besuch da war) angefeuert wurden. Die ständigen Wechsel zwischen geheizten und ungeheizten Räumen machte ihr überhaupt nichts aus. Ob das wohl kneippen mit unterschiedlicher Umgebungsluft ist? Ich nehme an, unsere moderne Lebensweise mit Dauerheizung und wenig Bewegung an frischer Luft tut unserem Immunsystem nicht gut. Ein wenig Abwechslung wäre wünschenswert.
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