Der Herbst färbt nun langsam die Blätter. Ganz besonders schön sind alljährlich die Ginkgo (Gingko biloba) ‑Blätter mit ihrer eindrucksvollen Form. Johann Wolfgang von Goethe stellte in seinen letzten Lebensjahren Betrachtungen zu dem Baum mit seinen Blättern an.
Er schrieb das unten aufgeführte Gedicht 1815 und veröffentlichte es in seiner Sammlung “West-östlicher Diwan”. Das Gedicht ist der 20 Jahre jüngeren Frau Marianne von Willemer gewidmet, der er sehr zugeneigt war. Die Zweigeteiltheit des Blattes versinnbildlichte für ihn Freundschaft. Goethe hat das Gedicht zum Dank an einen heiteren freundschaftlichen Abend mit dem Ehepaar von Willemers geschickt. Unter dem handschriftlichen Gedicht hatte Goethe zwei getrocknete Gingko-Blätter geklebt.
Gingo Biloba (Konsonant fehlt wegen dichterischer Freiheit)
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut,
Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?
Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin?
Johann Wolfgang von Goethe 1815
(1749 — 1832)
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